ELib.at: Test

Aus eLib.at
Wechseln zu: Navigation, Suche

Vorlage:ContentPageStart

 

SUMMARY

Dieser Text hilft Personen bei Ihren Recherchen in einem (Papier-)Archiv.

 

BIBLIOGRAPHIC INFO

Text is in German . See guides for translating content.

Burkhardt Martin: Gebrauchsanleitung für Archive . In: eLib.at (Hrg.), 06. Januar 2020. Zitiert von: historicum.net, 2006. Export citation for this page.

 

TAGS & CATEGORIES

Gebrauchsanleitung für Archive - Praktischer Leitfaden für den Einstieg in die Quellenrecherche

Diese Gebrauchsanleitung für Archive wurde uns freundlicherweise von Herrn Dr Martin Burkhardt zur Veröffentlichung durch eLib.at zur Verfügung gestellt. Dieser Text wurde auf historicum.net erstveröffentlicht. Vielen Dank!

Dr. Martin Burkhardt
Version: 22. September 2006


Anm. d. Red.: Aus technischen Gründen wurde der Aufsatz in zwei Teile aufgeteilt:

Einleitung: Für wen und zu welchem Zweck ist dieser Leitfaden geschrieben?

Dieser Leitfaden soll eine Gebrauchsanleitung sein. Wie seine Pendants für die Waschmaschine oder das Mobiltelefon soll er klären: Was ist das für ein Ding, wie benutze ich es, und wie ziehe ich den bestmöglichen Nutzen daraus. Anders als bei anderen Archiv-Kompendien liegt der Schwerpunkt hier auf dem praktischen Nutzen für Archiv-Laien: Studierende, Schüler der Oberklassen, Lehrerinnen und Lehrer, die "besondere Leistungen" zu betreuen haben oder den neuen Lehrplan Geschichte von Nordrhein-Westfalen umsetzen, Heimatgeschichtsforscher, ausländische Wissenschaftler, Mitarbeiterinnen von Behörden und von Öffentlichkeits-Abteilungen in Unternehmen; kurzum für alle, die schon immer ein Archiv benutzen wollten, sich aber nicht getrauten einzudringen. Vielleicht finden auch Leute, die schon in Archiven recherchiert haben, noch den einen oder anderen nützlichen Hinweis.

Dieser Leitfaden möge auch Menschen erreichen, die kein Forschungsinteresse ins Archiv führt, sondern die Wahrung persönlicher Rechte. Viele wissen nicht, dass ihnen Archive dabei helfen können. (Siehe 5.5)

Der Autor ist Archivar, der schon einige Berufsjahre in verschiedenen Archivtypen gearbeitet und sich dabei immer bemüht hat, die Dinge auch von der anderen Seite der Benutzertheke her zu sehen. Sofern es mit diesem Leitfaden gelingt, Schranken abzubauen, nützt dies gleichermaßen Ihnen als Nutzern wie uns Archivaren. Denn letztlich verwahren wir die Archivalien zu keinem anderen Zweck als dem, dass eines Tages jemand kommt, der sich dafür interessiert.

Ein Hauch vom Geheimen Archivarius Lindhorst umweht noch heute den Berufsstand. Diese Figur in dem vor zwei Jahrhunderten von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann erdachten Fantasiestück "Der goldene Topf" ist "ein alter wunderlicher, merkwürdiger Mann, man sagt, er treibe allerlei geheime Wissenschaften". Lindhorst verfügt über alte Manuskripte "in sonderbaren Zeichen, die keiner bekannten Sprache angehören". Mitunter breitet dieser Archivar im Abenddunst die Rockschöße zu Flügeln aus und flattert als weißgrauer Geier hoch in den Lüften davon.

Diese Gebrauchsanleitung trage dazu bei, den romantischen Schleier des Geheimnisvollen zu lüften, der bis heute Archive und Archivare umgibt. Sie soll dabei helfen, den formalen Vorgängen bei der Benutzung die Spannung zu entziehen und die Spannung dorthin zu verlegen, wohin sie gehört: zu den aufregenden Entdeckungen beim Studium von Archivquellen.


Anschrift des Autors:
Dr. Martin Burkhardt
Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg
Schloss Hohenheim, Institut 806
70593 Stuttgart
Email: martinbu(at)uni-hohenheim.de


Was ist ein Archiv?

Zu unterscheiden sind der unschärfere allgemeine Sprachgebrauch und die archivistische Definition.


... im öffentlichen Sprachgebrauch

Im öffentlichen Sprachgebrauch bezeichnet "Archiv" so ungefähr alles, was eine größere Menge schriftlicher Informationen in einer irgendwie strukturierten Form beinhaltet und keine Bibliothek ist. Ein "Archiv" in diesem Sinne kann der riesige Zettelkasten des Walter Kempowski ebenso sein wie die Datensammlung eines Zeitungsverlags über Personen und Institutionen, in Online-Periodika verweist der Begriff auf die Beiträge der vorigen und älterer Ausgaben, und mitunter bildet er einen Zeitschriftentitel ("Archiv für Sozialgeschichte" usw.).


... im strengen archivfachlichen Sinne

Im strengen archivfachlichen Sinne ist ein Archiv eine Institution, die Archivalien oder (synonym) Archivgut verwahrt, und Archivgut muss jede der folgenden drei Bedingungen erfüllen: a) Ist im Geschäftsgang einer juristischen oder natürlichen Person entstanden; b) wird zur Erledigung der laufenden Geschäfte nicht mehr benötigt; c) hat bleibenden Wert.

Der wichtigste Begriff in dieser Definition ist der "Geschäftsgang". Der verweist darauf, dass der Inhalt eines Archivs in amtlicher oder geschäftlicher, jedenfalls nicht privater Tätigkeit entstanden ist. So handelt es sich bei Archivalien typischerweise um Akten, die in der Regel Unikate sind - im Unterschied zur Bibliothek, deren Bücher je nach Vertrieb und Auflagenhöhe mehr oder weniger bequem auch woanders zu bekommen sind [1]. Die völkisch angehauchte ältere Definition von a) führt an Stelle des Verbs "entstanden" den Begriff "organisch erwachsen", womit, bedauernd zugegeben, der Hauptunterschied zum Museum besonders deutlich hervortritt; das Museum verwahrt ja auch alte Sachen, die oftmals (in Gemäldegalerien: ausschließlich) Unikate sind. Aber das Museum akquiriert planmäßig, es kauft an, es lässt sich auch schenken; das Archiv hingegen muss nehmen, was in seinem Zuständigkeitsbereich anfällt, die abgebenden Stellen unterliegen umgekehrt einer Abgabepflicht, und deshalb bezahlt das Archiv für die übernommenen Schätze keinen Cent.

Das gezielte Akquirieren von Daten und Fakten aus verschiedenen Quellen auf einen punktuellen Betreff - z.B. alles aus 15 oder 30 für seriös erachteten internationalen Periodika über Helmut Kohl - charakterisiert die Arbeit von Dokumentaren. Bei einem Archivbestand verhält es sich genau anders herum: Er fließt aus einer Quelle - z.B. der Abteilung für den Straßen- und Wasserbau im württembergischen Innenministerium -, und kann zu den verschiedensten technik-, wirtschafts-, umwelt-, mentalitäts-, personen- usw. -geschichtlichen Fragen Auskunft geben.


Wer sich mit Archivaren unterhält, wird bald bemerken, wie häufig sie von "Provenienzen" sprechen, wie wichtig ihnen Zusammenhänge sind. Zu Recht. Einer seriösen Recherche genügt es keinesfalls, irgendwo die Sätze zu finden: "Auch wegen unseres besonderen Schutzhäftlings ,Eller' wurde erneut an höchster Stelle Vortrag gehalten. Folgende Weisung ist ergangen: Bei einem der nächsten Terrorangriffe auf München bezw. auf die Umgebung von Dachau ist angeblich ,Eller' tötlich verunglückt." Dieser Befehl zum Mord an dem Hitler-Attentäter Georg Elser erlangt erst dann die Qualität einer verwertbaren Aussage, wenn das "Drumherum" geklärt ist: Wer hat ihn wann aufgeschrieben, in welcher Funktion, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck? Was steht sonst noch in dieser Akte und wer hatte im Lauf der Zeit Zugriff darauf? - Eine Akte mit der Aufschrift »Karlheinz Schreiber / Parteispende« wäre kaum halb so interessant, wenn man nicht wüsste, ob sie aus dem Büro von Wolfgang Schäuble oder dem von Brigitte Baumeister stammt.

Aus ihrem Zusammenhang gerissene Einzel-Akten verlieren erheblich an Aussagekraft und Glaubwürdigkeit. Natürlich enthält eine umgebungslose Archivalie noch eine Menge Informationen, im Verhältnis etwa so viel wie ein Blatt, das mitten aus einem Roman herausgerissen ist, so dass findige Leute sogar ermitteln könnten, um welchen Roman es sich handelt. Doch meist ähnelt die Akte ohne Provenienz dem beim Raubgraben erbeuteten Caracalla-Aureus ohne Dokumentation von Fundort und -umständen, der so für die Archäologie wissenschaftlich wertlos bleibt.

[1] Selbstverständlich verwahren zahlreiche Bibliotheken Handschriften oder andere Unikate, und die Archive enthalten viele Drucke und "Bücher" - aber dieser Leitfaden stellt die generelle Linie vor, den Regelfall, das Charakteristikum, und nie die letzte abwegige Ausnahme.


An was und wie arbeiten Archivarinnen und Archivare?

Der folgende Abschnitt 2.3 soll Ihnen eine Vorstellung darüber vermitteln, was Sie als Benutzer in einem Archiv geboten bekommen und was Sie nicht erwarten dürfen.

In der Öffentlichkeit wahrgenommen werden Archivare, wenn sie sich als Historiker betätigen, wenn sie Ausstellungen organisieren, Quelleneditionen und landesgeschichtliche Werke herausgeben oder auf Tagungen referieren. Die so genannten "archivischen Kernaufgaben" hingegen erledigen Archivarinnen und Archivare hinter den Kulissen, wenn nicht ganz im Verborgenen, und Anerkennung erwerben sie damit allenfalls bei nachgeborenen Fachkollegen. Diese Randständigkeit archivischer Grundlagentätigkeiten liegt angeblich darin begründet, dass sie so sterbenslangweilig seien und niemanden interessierten. Was allenfalls die halbe Wahrheit ist.

Analytisch zerfallen die "archivischen Kernaufgaben" in vier große Blöcke: Übernahme, Erhaltung, Erschließung und Benutzung.


Übernahme

Zuerst muss der Archivar mehr oder weniger große Aktenmassen in kurzer Zeit sichten und all das der Vernichtung anheim geben - auf archivarsdeutsch "kassieren" -, was keinen bleibenden Wert besitzt, umgekehrt die Dokumente zur Übernahme vormerken, die sie zur dauernden Aufbewahrung im Archiv bestimmt. Dieser "Bewertung" genannte Vorgang dürfte die verantwortungsvollste und schwierigste Aufgabe im archivischen Arbeitsspektrum sein, ein ständiges Segeln zwischen Scylla und Charybdis. Einerseits sind Kassationsentscheidungen irreversibel, andererseits wirken sich Übernameentscheidungen additiv auf Kosten und weiteren Arbeitsanfall aus, denn die belegte Regalfläche im Magazin wird immer nur größer, nie kleiner. Aus archivarischer Bewertung resultiert die zukünftige Quellenlage, das heißt konkret, was die Archivarin kassiert, das verschwindet auf ewig im Vergessen, und was sie übernimmt, das prägt spätere Geschichtsbilder.


Übernahmen ins Archiv bilden eine zeitlich nie abreißende Kette. Einem verbreiteten Irrtum zufolge fahndet der Archivar, wenn er zur Bewertung in die Abteilung oder ins Amt kommt, nach allem "Alten". Meine Standardantwort darauf lautet, es gebe nichts Relativeres als Alter; eine Aktennotiz, die Sie heute schreiben, wäre anno 2525 uralt. Also kommt es entscheidend darauf an, dass sie wichtig genug ist, um bis dahin aufbewahrt zu werden.


Nun besteht eine große Teilmenge aller zu bewertenden Unterlagen, auch der "alten", aus unzweifelhaft überflüssigem Müll, der nie wieder irgend jemanden interessiert haben würde. Eine deutlich kleinere Teilmenge ist offensichtlich archivwürdig. Die Schnittmenge aus diesen beiden, der spannende Teil, bleibt dem auch nur konsensfähigen, geschweige denn objektiven Urteil enthoben. Bedauerlicherweise stellen Archivare ihre konkreten Bewertungsentscheidungen nie, deren allgemeine Grundsätze faktisch auch nicht zur öffentlichen Diskussion; was gewiss mit dem Zeitdruck zusammenhängt, aber ebenso gewiss auch mit der Scheu, sich dabei in die Karten gucken zu lassen.

Um die Relationen zu quantifizieren: Vom modernen, nach 1948 entstandenen Verwaltungsschriftgut werden zwischen drei und zehn, im Mittel wohl um die fünf Prozent übernommen. Alles andere verarbeitet der Reißwolf.


Eine Totalarchivierung, wie sie aus Kreisen der Forschung bisweilen gefordert wird, kommt aus zwei Gründen nicht in Frage.

Erstens würden die Magazine sofort aus allen Nähten platzen. Ein Landes-/Staatsarchiv verwahrt derzeit zwischen 20 000 und 40 000 Regal- oder "laufende" Meter Archivgut (d.h. alle Unterlagen in den Magazinregalen ergäben, nebeneinander gestellt, eine Strecke von 20 bis 40 Kilometern), ein mittleres Stadtarchiv 2000 bis 5000 Regalmeter. Bei kompletter Übernahme allen abzugebenden Materials würden sich diese Bestände binnen vier bis fünf Jahren verdoppeln, in weiteren acht bis zehn Jahren auf das vierfache des aktuellen Stands anschwellen. Wer sollte solche Lagerkapazitäten bezahlen?!

Zweitens ermöglicht erst die Kassation des Überflüssigen das nachfolgende Strukturieren und Erfassen der Bestände im Archiv. Zugespitzt gesagt: Bei einer Totalübernahme wäre zwar noch alles da, aber darin würde niemand mehr etwas finden. Die Archivare bringen die Dokumente in eine Ordnung, die so schön nie zuvor bestanden hat.


Erhaltung

Die Bestandserhaltung, auf der anderen Seite derselben Medaille die Zerstörung von Archivgut, wird bemerkenswerter Weise unter den selten von Massenmedien aufgegriffenen Archivthemen am häufigsten popularisiert - vermutlich, weil es neben Archivalien auch Bücher trifft. Die saure Eisengallustinte frisst Löcher in die Viertelnoten von Johann Sebastian Bachs Handschriften; wie können die Romanmanuskripte von Theodor Storm vor dem endogenen Papiersäurefraß gerettet werden; und dergleichen mehr.


Auf die verschiedenen präventiven und Reparaturmaßnahmen an bedrohtem Archivgut näher einzugehen, würde in diesem Rahmen zu weit führen, zumal es Sie als Nutzer unmittelbar allenfalls insofern betrifft, als man Ihnen die Einsicht in gefährdetes Schriftgut verwehren, Sie gegebenenfalls auf Ersatzkopien verweisen kann [Siehe 6.2] . Mittelbar dürfte die Bestandserhaltung den Nutzungsbereich erheblich stärker betreffen, da sie eine Menge Arbeitskraft bindet, angefangen mit dem Entmetallisieren. Wer vorhat, archivwürdiges Schriftgut zu schaffen, sollte bei jeder Heftklammer, die er ins Papier schießt, bedenken, dass womöglich eines Tages ein bedauernswerter Archivmitarbeiter diese Heftklammer wieder herauspfriemeln muss.


Erschließung

So lange niemand weiß, was drinsteckt, sind die schönsten alten Unterlagen nur ein nichts sagender Haufen Altpapier. Der dritte Hauptblock archivischer Arbeit besteht also darin, das Archivgut zu klassifizieren und dann so genannte Repertorien oder Findmittel zu erstellen. Dabei handelt es sich um eine Art Kombination zwischen Zusammenfassung und Inhaltsangabe, die nach bestimmten fachspezifischen Regeln erfolgt, entfernt verwandt z.B. mit dem dokumentarischen "abstract". Die Findmittel dienen dem Ermitteln von Archivalien, in denen man Antworten auf die jeweilige Fragestellung erwarten darf. Näheres in Abschnitt 4 bei der Beschreibung der Findmittel [Siehe 4.2] .

Teilweise handelt es sich um wahre Find-Hilfsmittel wie Übergabelisten, bisweilen sind Repertorien in Gebrauch, die Archivare im 19. oder gar 18. Jahrhundert geschrieben haben. Aus dieser Erfahrung - der Brauchbarkeit uralter Findbücher - rührt die archivarische Vorliebe für Papierausdrucke selbst von solchen Findmitteln, die als Datenbank vorliegen: Der Ausdruck wird voraussichtlich auch im Jahr 2204 noch zu gebrauchen sein, wenn sich jede heutige Datenbank einschließlich ihrer konvertierten und Nachfolgeversionen ins elektronische Nichts aufgelöst haben wird. Umgekehrt resultiert daraus eine gewisse Scheu, die ohnehin geringe Zeit, das wenige Personal für das Erstellen von Online-Findmitteln aufzuwenden - was ja immer einen zusätzlichen Schritt bedeutet -, wiewohl über deren Nützlich- wie Wünschbarkeit kein ernsthafter Dissens besteht.


Benutzung

Die Nutzung des Archivguts erfolgt persönlich im Lesesaal. Archivalien werden nach ehernem Grundsatz niemals im Original aus dem Haus gegeben.

Doch bevor Sie selbst ein bestimmtes Archiv aufsuchen und eine unter Umständen weite Anreise auf sich nehmen, sollten Sie abklären, ob dort Quellen für Ihre Fragestellung liegen, wenn ja, von welcher Art und wie umfänglich die sind. Bei der Kontaktaufnahme werden Sie den besten Erfolg erzielen, wenn Sie schriftlich anfragen, sei es per Postbrief, mit einem Fax oder durch E-Mail. Die Schriftform empfiehlt sich insofern, als die meisten Archive telefonische Anfragen nur unzureichend oder gar nicht beantworten (können) und Anrufer deshalb bitten werden zu schreiben, und zwar aus drei Gründen: Erstens sind Archive Behörden, und eine schriftliche Anfrage begründet einen "Vorgang", der im Archiv an die kompetente Mitarbeiterin zur Bearbeitung weitergereicht und am Ende zum Nachweis der eigenen Tätigkeit abgeheftet werden kann - niemand unterschätze den Legitimationsdruck von Archiven! Zweitens geht aus schriftlichen Anfragen nach aller Erfahrung klarer als am Telefon hervor, was genau die betreffende Person vom Archiv erwartet, welcher Fragestellung sie nachgeht. Bedenken Sie schließlich drittens, dass Ihre Anfrage Arbeit auslöst, und zwar je nach Begehr zwischen zwanzig Minuten und zwei Stunden. Deshalb herrscht, freilich eher unter der Hand, in den meisten Archiven die (auch in meinen Augen durchaus berechtigte) Auffassung: Wer sich nicht einmal die Mühe macht, sein Anliegen niederzuschreiben und abzuschicken, der verdient es auch nicht, dass ich als Archivar eine Stunde oder mehr Mühe daran setze - die anderen wichtigen Aufgaben abgeht.

Die "Dienstleistung" der Archive für alle Nutzungs-Interessenten besteht zum einen in der Beratung, in Hinweisen auf Erfolg versprechende Bestände, gegebenenfalls auf andere Archive, in denen Sie fündig werden könnten, auch auf andere Forschungsliteratur zum Thema. Diese Beratung bekommen Sie immer, auch schriftlich auf entsprechende Anfrage, und Sie sollten sie auch intensiv abrufen. Wissenschaftliche Archivare haben sich wissenschaftlich üblicherweise als Historiker qualifiziert und stehen den Diskussionen des Fachs entsprechend nahe.

Die "Dienstleistung" besteht zum zweiten in der Vorlage der Repertorien (Findmittel), mittels derer Sie Archivalien in den Lesesaal bestellen und vorgelegt bekommen. Zu den Repertorien siehe Abschnitt 4.2, zum Ablauf im Lesesaal siehe Abschnitt 6.4.


In letzter Zeit müssen immer mehr insbesondere Kommunalarchive so genannte "Grund"- oder "Eintrittsgebühren" erheben, das bedeutet, Sie als Nutzer dürfen Ihr Anliegen erst dann vorbringen, wenn Sie einen bestimmten Geldbetrag auf die Anmeldetheke gelegt haben. Bitte verübeln Sie dies nicht dem Archivpersonal. Solche Gebühren entspringen leeren Kassen und der irrigen Auffassung der politisch Verantwortlichen, die Benutzung eines Archivs (das die Kommune als gesetzlich verankerte Pflichtaufgabe führen muss!) wäre das Gleiche wie ein Besuch im Freibad oder der Gang zum Zahnarzt. Hoffentlich klagt bald jemand erfolgreich gegen diese Gebühren.

Niemand käme auf die Idee, etwa bei einer Universitätsbibliothek anzurufen und darum zu bitten, eine Bibliothekarin möge doch alle vorhandenen Bücher über Raffael heraussuchen, daraus die Kapitel zur Sixtinischen Madonna kopieren und dem Anrufer zusenden. Das klingt absurd? Anfragen der Art "schicken Sie mir bitte alles, was Sie zum Thema Marshall-Plan, Hoover und Care haben" oder "ich schreibe eine Abschlussarbeit zur Geschichte der XYZ AG" (40 000 Mitarbeiter, besteht seit über 100 Jahren) - "könnten Sie mir das Material in Kopie zuschicken?" erreichen Archive recht häufig. Also ganz deutlich: Wie in Bibliotheken die Bücher, so bekommen Sie als Benutzerin in Archiven nur die Archivalien vorgelegt. Auswählen, lesen und sich ihre Gedanken darüber machen müssen Sie selbst.


Apropos lesen: Wer Archivalien aus Zeiten vor 1900 bestellt, sollte die deutsche Schrift beherrschen (die allgemein etwas ungenau als "Sütterlin-Schrift" bekannt ist). Wie das Beispiel in Abschnitt 5.5 zeigt, gibt es zwar immer wieder hilfreiche Menschen im Benutzerdienst, die bei schwer zu entziffernden Stellen helfen. Doch in der Regel wird Ihnen keine Archivarin die Quellen vorlesen - schon allein deshalb, weil sie das zwar aufgrund längerer Übung besser kann (oder wenigstens können sollte), aber natürlich selbst gehörige Mühe damit hat, etwa in knifflige Abkürzungen des 16. oder eine Konzeptkursive des 19. Jahrhunderts einzudringen. Besorgen sie sich also rechtzeitig einschlägige Hilfsmittel wie das "Brause Übungsheft Deutsche Schrift", erhältlich über den Bürobedarf- oder Schreibwarenhandel. Jedes fachlich geführte Archiv wird Ihnen auf Nachfrage gerne die gebräuchlichen Handbücher für die Auflösung von Abkürzungen und Siglen, für Zahlen, lateinische Rechtstermini usw. zur Verfügung stellen. (Siehe die Literaturliste in Abschnitt 7.1)


Exkurs: Online-Nutzung von Archivgut?

In letzter Zeit häufen sich Anfragen, die auf Online-Nutzung von Archivalien zielen. Die Fehlanzeige aus dem Archiv führt dann häufig zur erstaunt enttäuschten Nachfrage, weshalb das Archiv seine Akten nicht längst schon eingescannt habe? Ihre Nahrung erhalten derlei Erwartungen durch Werbeangebote gewisser Dienstleister: "Wir lösen alle Ihre Platz- und Suchprobleme, indem wir Ihre Unterlagen digitalisieren". Oder durch den Jahresbericht des sächsischen Landesrechnungshofs vom 9. Oktober 2003, der seine Inkompetenz bloßstellte, indem er die Staatsarchive aufforderte, ihre Bestände einzuscannen und anschließend die Originale zu vernichten. (Nachzulesen hier, insbesondere Empfehlung 2.1.3.)


Die beiden Gründe, warum kein Archiv solches tun wird, seien kurz dargelegt. Erstens benötigt eine erfahrene Arbeitskraft zum Scannen von einem Regalmeter vergleichsweise homogener Akten (überwiegend gleiche Formate, wenige Heft- und Büroklammern, wenig dünnes Durchschlagpapier) eine Woche. Wohlgemerkt sind die Unterlagen dann als Bilder erfasst, ohne die Möglichkeit einer Volltextrecherche. Bei 200 Arbeitstagen im Jahr schafft die Person also 40 Regalmeter. Ein besseres Stadtarchiv mit seinen 4000 Regalmetern hätte demnach rechnerisch fünf Leute für jeweils zwanzig Jahre damit zu beschäftigen, das aktuell vorhandene Schriftgut zu digitalisieren - wenn in diesem Stadtarchiv überhaupt fünf Menschen arbeiten, dann ist es ganz gut besetzt. Oder: Die vier sächsischen Staatsarchive mit ihren 90 Kilometern an "stofflichen Originalen" müssten zusätzlich einhundert Angestellte für je 22 Jahre auf die Gehaltsliste setzen, ihre Personalstärke somit verdoppeln, nicht gerechnet dabei die Kosten für Computer, Scanner, Software, Arbeitsräume. Was würde der Rechnungshof wohl dazu sagen?!

Zweitens existiert kein geeignetes Speichermedium für elektronische Daten. Abgründe klaffen zwischen dem, was IT-Spezialisten unter "Langzeitarchivierung" verstehen, nämlich ein paar Monate, höchstens zehn Jahre, und der dauerhaften Aufbewahrung in Archiven. "Dauerhaft" bedeutet hier nämlich: bis ans Ende aller Tage. Versuchen Sie hingegen bloß - ich schweige von Schneider-PC, Commodore & Co - den Inhalt einer vor kaum 15 Jahren topaktuellen 5¼-Zoll-Diskette noch irgendwo gelesen zu bekommen. Eine ihrer Nachfolgerinnen im 3½-Zoll-Format, vor rund zwölf Wochen in Dienst gestellt, quittierte mir denselben gestern ohne Vorwarnung, ließ sich nicht einmal mehr neu formatieren. Bei Compact Discs beginnt das Vergammeln ("laser rot") je nach Qualität fünf bis 30 Jahre, nachdem die Scheibe den Hersteller verlassen hat.


Halbwertzeiten in der Informationstechnologie währen bekanntlich kurz. In musealen Rechenzentren müsste man permanent gigantische Datenberge in neue Systemgenerationen migrieren, wobei jedes Mal unweigerlich ein paar Daten verloren gingen. Die Alternative gründet sich unter dem Schlagwort "Emulation" auf die prekäre Hoffnung, künftige Rechnermodelle auf der Basis von Laser-, Flüssigkristall- oder Werweißwas-Chips ließen sich vorgaukeln, sie seien ein 286er Gerät und könnten MS-DOS in der Version 3.0 verarbeiten.

Was bliebe, wenn Sie die Datenbank der gescannten und dann geschredderten Akten "Kreisgericht Meißen 1953" anklicken würden, und der Bildschirm verkündete: "Zugriff auf die angegebene Quelle nicht möglich. Datenträger unbrauchbar"?

So wird die Digitalisierung auch künftig auf absolut gesehen zahlreiche, im Verhältnis zum Umfang von Archivgut aber doch nur wenige ausgewählte Stücke beschränkt bleiben, wie zum Beispiel Urkunden mit Ersterwähnungen von Ortschaften auf der Internetseite des Staatsarchivs Münster oder Dokumente des Albert-Einstein-Archivs in Jerusalem oder Urkunden niederösterreichischer Klöster. Als weltweites Pilotprojekt ließ das spanische Bildungs- und Kulturministerium in Kooperation mit IBM zwischen 1986 und 2002 die 43 000 Faszikel des Kolonialarchivs "Archivo General de Indias" in Sevilla zu 10 Millionen Bildern einscannen. Diese Pilotfunktion übernahm in Deutschland das Stadtarchiv Duderstadt, dessen ältere Bestände (bis 1650) zwischen 1996 und 1999 in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen digital kopiert wurden. Im Zentrum der Digitalisierungsaktion standen die in Duderstadt recht komplett überlieferten Amtsbuchserien, insbesondere Kämmereirechnungen, Ratsprotokolle, Steuerbücher und der schriftliche Niederschlag der freiwilligen Gerichtsbarkeit. (Siehe hier)

Die Scan-Vorlagen bleiben selbstverständlich erhalten, und sie werden ihre digitalen Kopien zum Nutzen künftiger Generationen lang überdauern.


Die verschiedenen Archivarten und -träger in Deutschland

Archive sind ihren jeweiligen Verwaltungen angegliedert. Die Dreigliederung in Bund, Länder und Gemeinden spiegelt sich so bei den Verwaltungsarchiven wider. Zwischen den Ebenen bestehen keinerlei, und seien es nur informelle, Hierarchien oder Abhängigkeiten z.B. zwischen dem Bundesarchiv in Berlin und dem dortigen Landesarchiv, zwischen dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv und dem Stadtarchiv, beide in Potsdam, zwischen dem Kreisarchiv Esslingen und dem Archiv der Kreiskommune Leinfelden-Echterdingen.

Jedes Archiv besitzt sozusagen eine eigene Individualität, es unterscheidet sich erheblich von anderen selbst innerhalb derselben Archiv-Gattung. Folgend kann daher nur ein Überblick über die Varianz von Archiv-Gattungen geboten werden, keine auch nur ansatzweise erschöpfende Beschreibung ihrer Eigenarten.


Archive des Bundes

Das deutsche Bundesarchiv wurde 1952 in der Nachfolge des seit 1919 bestehenden Reichsarchivs gegründet. Es archiviert die Überlieferung der obersten Reichs- bzw. Bundesbehörden, also des Kanzleramts, der Ministerien usw., seit 1867. Weiter liegen im Bundesarchiv die jeweiligen Militär- und Filmarchive der Bundesrepublik und der DDR. In den Jahren seit 1990 kamen an größeren Blöcken das Zentrale Staatsarchiv der DDR, das Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, das Berlin Document Center (Aktensammlung der US-amerikanischen Besatzungsbehörde zur Vorbereitung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und Entnazifizierung) sowie die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hinzu. Derzeit (Juli 2004) besteht das Bundesarchiv aus zehn Dienststellen in ganz Deutschland. Internetadresse: <http://www.bundesarchiv.de>


Das 1920 eingerichtete Politische Archiv des Auswärtigen Amts enthält die Urschriften internationaler Verträge des Deutschen Reichs, der BRD und der DDR sowie alle Unterlagen, "die der Auswärtige Dienst zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt", auch Personalakten und Diplomatennachlässe. Hinsichtlich der Benutzung gelten nach schriftlicher Anmeldung die Vorschriften des Bundesarchivgesetzes. Internetadresse: <http://www.auswaertiges-amt.de>, dann in der Kopfleiste über "Informationsservice" weiterklicken.


Das Archiv des (aktuell: der) "Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR" ist wegen dieses sperrigen Namens besser als "Gauck-Behörde", seit dem Wechsel in der Leitung als "Birthler-Behörde" bekannt. Wie die vollständige Bezeichnung sagt, besteht es aus der schriftlichen Hinterlassenschaft des Ministerium für Staatssicherheit ("Stasi") der DDR. In dieser Archiv-Behörde liegt die gigantische Masse von 122 Regalkilometern in Papierform plus weiteren 46 Kilometern auf Mikrofilmen.

Die Birthler-Behörde stellt in der deutschen Archivlandschaft insofern einen Sonderfall dar, als sie nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz arbeitet, nicht gemäß einem Archivgesetz. Dies ermöglicht eine ungeachtet aller Klagen Betroffener vergleichsweise nutzerfreundliche Freigabe von Akten über Personen. Internetadresse: <http://www.bstu.de/archiv>

Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz gehört zu einer Bundesstiftung. Um Proteste empörter Kollegen unbekümmert, sei es hiermit kurz als eine Art "Staatsarchiv des Landes Preußen" beschrieben, da es brandenburgisch-preußische Überlieferung "zwischen Königsberg und Kleve" bewahrt. Der Gesamtumfang von rund 35 Regalkilometern setzt sich überwiegend aus dem Schriftgut staatlicher Provenienzen, aus der Zentrale wie aus den Provinzen, zusammen. Archivgut privater Herkunft stammt vor allem von Freimaurerlogen und Stiftungen. Internetadresse: <http://www.gsta.spk-berlin.de>


Staatsarchive (Landesarchive)

Ein Staatsarchiv in Frankreich untersteht, wo immer es liegt, der Zentrale in Paris. Das staatliche Archivwesen in Deutschland dagegen steht unter Länderhoheit. Als Archive im modernen (d.h. insbesondere: öffentlichen) Sinne sind sie in der Regel im 19. Jahrhundert entstanden und konservieren so die politische Ordnung des Deutschen Bundes zwischen 1815 und 1866; deshalb heißen die meisten der Archive der Bundesländer "Staatsarchive" (Wo die Staatsarchive Landesarchive heißen, wie in Rheinland-Pfalz, liegt dies häufig in fehlender Staatlichkeit im 19. Jahrhundert begründet.)


Ein Staatsarchiv kümmert sich im Wesentlichen um die Überlieferung a) der drei Gewalten in den souveränen Staaten im Gebiet seines Bundeslandes: Staatsoberhaupt, Regierung, Ministerien, nachgeordnete Staatsbehörden, Parlament, Gerichte, einschließlich aller im 16. und 19. Jahrhundert säkularisierten bzw. mediatisierten Herrschaften; b) der Länder innerhalb des zweiten und dritten Reichs, unter alliierter Besatzung und in der Bundesrepublik respektive DDR.

Die Staats- bzw. Landesarchive in den neuen Bundesländern verwahren außerdem die Überlieferung der Volkseigenen Betriebe der DDR, darin enthalten sind üblicherweise weit vor das Jahr 1945 zurückreichende Vorakten der verstaatlichten Privatunternehmen, aus denen sich später der jeweilige VEB zusammensetzte.

Internetadressen: Sind alle versammelt auf der Homepage der Archivschule Marburg, dort "Archive im Internet" anklicken.

Verhaftete Angehörige des "communistischen Bundes" 1851 [2 Bilder]Verhaftete Angehörige des "communistischen Bundes" 1851 [2 Bilder]


Kommunalarchive

Im Stadtarchiv liegt das Schriftgut der kommunalen Selbstverwaltung seit dem Mittelalter. Häuser mit längerer Tradition bieten über das Verwaltungsschriftgut hinaus auch reichhaltige, nicht nur ortsgeschichtlich, sondern allgemein kulturhistorisch bedeutende Sonderbestände und Sammlungen, beispielsweise von Flugblättern, Kalendern, Münzen und Medaillen, politischen Plakaten, Postkarten, Spielkarten, Stadtansichten, Theaterprogrammen, Wanderbüchern usw. usf.


Archive ehemaliger Reichsstädte dokumentieren für die Zeit bis um 1800 die eigene Landesherrschaft und -hoheit, ähneln in dieser Beziehung also kleinen Staats- oder guten Adelsarchiven. Keinesfalls dürfen Sie annehmen, im Stadtarchiv Talberg alles Wesentliche zur Stadtgeschichte von Talberg vorzufinden; je nach rechtlich-administrativer Kompetenz steht reichliches Material über Talberg in den Magazinen der zuständigen Reichs-/Bundes-, Landes- und Kreisarchive. [Siehe 4.1] Generell scheint mir die Überlieferung in Kommunalarchiven zur Erforschung konkreter sozialgeschichtlicher Fragen vergleichsweise gut geeignet.

Für die fachgerechte Betreuung kleinerer Kommunalarchive, die keine eigenen Archivare beschäftigen, existieren in Deutschland zwei Modelle: In Nordrhein-Westfalen die Archivberatungsstellen der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen; in Baden-Württemberg die flächendeckend hauptamtlich besetzten Kreisarchive, die, wiewohl sie in Gestalt der Oberamts- und Kreis- auch untere staatliche Überlieferung betreuen, doch im Kern gebündelte Kommunalarchivpflege betreiben. Die neuen Bundesländer sind recht dicht mit Kreisarchiven versehen, in den alten außerhalb des Südwestens bestehen solche Einrichtungen nur lückenhaft.

Internetadressen: Gesammelt über die Homepage der Archivschule Marburg, zu haben, dort "Archive im Internet" und weiter "Kommunalarchive" anklicken.


Kirchliche Archive

Kirchliche Archive sind analytisch in drei Gruppen zu teilen: a) die zentralen der Diözesen bzw. Landeskirchen; b) Spezialarchive, z.B. der Diakonie oder von Ordensgemeinschaften; c) die Pfarrarchive.


Die beiden großen Konfessionen in Deutschland haben ihre je eigene, per Staatsvertrag geregelte Archivverwaltung. Der Hauptunterschied dürfte darin bestehen, dass das katholische Archivwesen zentraler organisiert ist, für die katholischen Pfarrarchive zum Beispiel ist das zuständige Diözesanarchiv verantwortlich. Dagegen bleiben evangelische Pfarrarchive stets Eigentum der jeweiligen Kirchengemeinde, die Landeskirche unterstützt sie nur bei der Archivpflege.

Herausragende Themenkomplexe, zu deren Erforschung Sie (selbstverständlich nicht exklusiv) kirchliche Archivquellen auswerten sollten, sind die Bereiche Schulwesen und Bildung, Armenwesen und Sozialfürsorge, auch die allgemeine politische Geschichte, die die Kirchen als prägende gesellschaftliche Kraft immer mitgestaltet haben. Unabdingbar sind Quellen aus Kirchenarchiven für jede Ortsgeschichtsschreibung. Die Kirchenbücher, also die vom 16. bis weit ins 19. Jahrhundert geführten Personenstandsregister stellen DIE Quelle schlechthin für Familienforscher und Genealogen dar. Diese Tauf-, Ehe- und Totenverzeichnisse werden vielfach nicht mehr im Original vorgelegt, da sie schon deutliche Spuren der Beschädigung durch häufigen, selbst sachgemäßen Gebrauch zeigen.


Sofern Sie ein Pfarrarchiv benutzen möchten, sollten Sie den Zugang über das zuständige landeskirchliche respektive Diözesanarchiv suchen. Zum einen liegt dort eine erkleckliche Anzahl der Pfarrarchive deponiert. Zum anderen werden Sie dort kompetente Ansprechpartner finden, die Ihnen gewiss besser helfen können als der überlastete örtliche Pfarrer, der sich heute in der Regel weder in "seinem" Archiv noch in der Ortsgeschichte sonderlich gut auskennen kann.

Im Diözesan- bzw. landeskirchlichen Archiv wird man Ihnen auch die komplizierte Überlieferungslage erklären. In Worms beispielsweise verwahrt das kommunale Archiv die Kirchenbücher aller städtischen Pfarreien und Religionsgemeinschaften.

Internetadressen: Archive der evangelischen Landeskirchen unter <http://www.ekd.de/archive>

Ausgewählte Bestände der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers unter <http://lkah.archiv-online.net/>

Katholische Kirche: vor allem Bistumsarchive, deren Homepages über die der Diözesen zu erreichen sind. Beispiele: <http://www.kath.de/bistum/regensburg/archiv> oder <http://www.bistum-hildesheim.de/kultur/archiv.html>.


Archive an Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen

Archive insbesondere traditionsreicher Landesuniversitäten bieten klassischerweise Einblick in die Studenten-Matrikel, die Protokolle der Selbstverwaltungsgremien, in wissenschaftliche Nachlässe von Professoren, Sammlungen von Flugblättern und dergleichen.

Neben Archiven DER Hochschulen gibt es zahlreiche Archive AN Hochschulen, wie das südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karlsruhe, Internetadresse <http://www.saai.de>

Umfassende Liste via <http://www.uni-marburg.de/archivschule>, dort "Archive im Internet" und weiter "Universitätsarchive und Archive sonstiger [wissenschaftlicher] Institutionen" anklicken.


Herrschafts-, Haus- und Familienarchive

sind üblicherweise Adelsarchive. Jedes noch blühende Geschlecht verfügt über sein Archiv in privatem Eigentum. Bei Adelsarchiven bestehen völlig unterschiedliche Qualitäten hinsichtlich Aufbewahrung, Erschließungsgrad und Benutzungsmöglichkeiten, so dass hier keine generellen Aussagen möglich sind. Archive erloschener Geschlechter liegen in der Regel im zuständigen Staatsarchiv, solche bestehender bisweilen auch.

Der Wirtschaftskonzern "Fürsten von Thurn und Taxis" hat sich jüngst als Trendsetter erwiesen, indem er die fünf Angestellten seiner seit 226 Jahren bestehenden Abteilung "Hofbibliothek und Archiv" dem freien Arbeitsmarkt zurückgegeben hat und die Bestände ab Anfang 2004 auf öffentliche Rechnung von der Universität Regensburg betreuen lässt.

Sofern Sie in einem Adelsarchiv forschen möchten und die Familie nicht kennen, empfiehlt sich eine mittelbare Kontaktaufnahme über das zuständige Staatsarchiv, mancherorts auch das Kreisarchiv.


Die Herrschaft der reichsfreien Herren von Liberbaro unterschied sich im Wesentlichen nur durch ihren Umfang vom Fürstbistum Münster, vom Kurfürstentum Sachsen und von den anderen Großterritorien. Deshalb gleichen Bestände vor 1800 in Adelsarchiven Zwergausgaben von solchen der Landesherrschaften im Staatsarchiv – mit folgenden beiden Einschränkungen: Eine Trennung zwischen familiärem und öffentlichem Bereich, also etwa zwischen Privatschatulle und Staatshaushalt, Privatvereinbarung und Staatsvertrag, ist im Adelsarchiv faktisch unmöglich zu ziehen. Vor allem wegen des rudimentären administrativen Apparats muss auch mit häufigeren und größeren Überlieferungslücken gerechnet werden.

In den Beständen ab dem 19. Jahrhundert wandelt das typische Adelsarchiv seinen Charakter allmählich in Richtung eines Wirtschaftsarchivs, naturgemäß mit einer Gutswirtschaft im Zentrum, ergänzt gegebenenfalls von gewerblichen "Unternehmenstöchtern" wie Weinkellereien, Brauereien, Gastwirtschaften und dergleichen.

Vereinigte Westfälische Adelsarchive im Internet: <http://www.adelsarchive.de>. Verzeichnis der Adelsarchive in Baden-Württemberg: <http://www.lad-bw.de/fr-frag.htm>, weiter klicken auf "Archivarische Fachaufgaben", dann "Denkmalschutz im Archivwesen".


Wirtschaftsarchive

Unternehmensarchive

unterhalten nur wenige große Firmen in Deutschland. Die Fülle von Einträgen im Handbuch "Deutsche Wirtschaftsarchive" trügt. Eine den öffentlich-rechtlichen Archiven vergleichbare Archivführung einschließlich allgemeinem Zugang gewähren nur die meisten Gesellschaften aus dem Dax-30-Segment, insbesondere der Automobil-, Bank- und Chemiebranche, auch einige im M-Dax notierte Gesellschaften wie Celesio (früher GEHE) und Zeiss sowie wenige traditionsreiche Gesellschaften anderer Rechtsformen wie Bosch; insgesamt werden es kaum mehr als drei Dutzend sein.


Regionale Wirtschaftsarchive

kümmern sich innerhalb ihres "Sprengels" zum einen um das Archivgut aufgelöster, selbstverständlich nicht sämtlicher Wirtschaftsbetriebe, sondern solcher, die in ihrer Branche, als Typ, aufgrund ihrer historischen Bedeutung die Wirtschaftsgeschichte der Region repräsentieren. Sie betreuen zum anderen quasi als externe Dienstleister die historischen Archive von bestehenden Unternehmen, die sich kein eigenes Archiv leisten können oder wollen. Das Beständeprofil, das heißt von welchen Unternehmen das Wirtschaftsarchiv Material verwahrt, hängt weitgehend von Zufällen ab, etwa von der Aufgeschlossenheit eines Konkursverwalters für wirtschaftsgeschichtliche Fragen oder vom (Des-) Interesse der Vorstandsmitglieder an der eigenen Konzerngeschichte.


Zur Zeit arbeiten Wirtschaftsarchive für Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, das Rheinland in Köln, Westfalen in Dortmund und Sachsen.


Da der archivische Aufwand erheblich höher ausfällt als im öffentlichen Sektor, können Wirtschaftsarchive vielfach nur sicher verwahren, beim Erschließen schieben sie eine anschwellende Bugwelle vor sich her. Im Regelfall – rühmliche Ausnahmen sind rar – gilt: Wirtschaftsunternehmen kennen keinen Aktenplan, pflegen auch keine Registratur zu führen; somit gelangen Firmenbestände in vollkommener Nicht-Ordnung ins Archiv. Unternehmen als juristische Privatpersonen unterliegen keiner Abgabepflicht, so besteht für sie auch kein Anlass, das, was sie einem Archiv überlassen, zu klassifizieren oder gar eine Abgabeliste anzufertigen. Sie sollten dies wissen, falls man Ihnen für gewünschte Bestände keine oder mangelhafte Repertorien vorlegt oder Sie manche Unterlagen wegen ihres Kraut-und-Rüben-Zustands nicht durchsehen lässt.

Ein regionales Wirtschaftsarchiv verwahrt vieles auf der Grundlage von Privatverträgen. Häufig bleiben abgebende Firmen oder Personen Eigentümer der Bestände, was sich auf die Benutzungsmodalitäten auswirken kann; gegebenenfalls müssen Sie eine Erlaubnis einholen.


Parlaments-, Parteien-, Verbandsarchive

Der Deutsche Bundestag, die Landtage, die politischen Parteien und Gewerkschaften führen eigene Archive. Bei den Parlamentsarchiven handelt es sich in erster Linie um Dokumentationszentren, die für die Abgeordneten arbeiten. Im Bund und der Mehrzahl der Länder, wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz, führen die Parlamente mit der Dokumentation verbundene Historische Archive. Einige Landtage, wie Schleswig-Holstein, geben ihre historische Überlieferung an das Staatsarchiv ab. Die Parlamentsdokumentation stützt sich überall auf (für Archive vergleichsweise) moderne EDV-Systeme, die meist eine Volltextrecherche ermöglichen. Sie werden hier reichlich Material über die politisch-parlamentarische Tätigkeit von Abgeordneten finden; eher private Unterlagen dagegen, oder auch die Akten der Fraktionen, liegen in den Parteiarchiven.

Diese stehen wie die Archive der Gewerkschaften nicht unter öffentlicher Trägerschaft, was sich auf die Nutzungsbedingungen und -modalitäten auswirkt. Am besten, Sie erkundigen sich vorher.

Internetadressen: <http://www.uni-marburg.de/archivschule>, dort über "Archive im Internet" zu "Parlamentsarchive und Archive politischer Parteien und Verbände" klicken.


Medienarchive

Rundfunkanstalten wie ARD, Deutschlandradio und ZDF unterhalten eigene Archive. Jede größere und renommiertere Zeitung führt ihr eigenes Pressearchiv. Verschiedene kommerzielle Bildarchive bieten ihre Dienste öffentlich an. Die genannten Medienarchive werden meist als Privatarchive geführt, deshalb sollten Sie sich im Vorfeld nach den Zugangsbestimmungen erkundigen.

Internetadressen: <http://www.uni-marburg.de/archivschule>, dort über "Archive im Internet" zu "Medienarchive" klicken.

Titelseite des "Illustrierten Blattes" vom 18. März 1919


Sonstige Archive

Neben den in 3.1 bis 3.9 genannten besteht ein bunter Strauß an weiteren Archiven bzw. Sammlungen, sei es von institutionellen, sei es von selbst organisierten Trägern. Um dieses weite Feld abzustecken, seien willkürlich und sehr unvollständig folgende Beispiele genannt: Das Literaturarchiv Marbach; das Vereinsarchiv des TV Schmie in Württemberg; das Tagebucharchiv im südbadischen Emmendingen; das Archiv der Münchener Arbeiterbewegung; die Archive der neuen sozialen Bewegungen (Frauen-, Umwelt-, usw.), deren Adressen 2003 in Buchform aufgelistet erschienen sind (siehe Anhang Literatur oder hier. Literaturarchive unter <http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2gerlw/ressourc/archiv.html>.

Bei allen diesen unter Archiv firmierenden Einrichtungen nichtöffentlicher Träger gilt es, die fließenden Übergänge zu Sammlungen zu beachten. Von jeglicher »Wertigkeit« des Schriftguts völlig unberührt, reicht es weit in die Quellenkritik hinein, ob Schriftgut amtlich auf Schreibtische und endlich in ein Archiv gelangt ist, oder aus Zufall (Beispiel Tagebucharchiv) oder weil jemand befunden hat, dies sei ein wichtiges Dokument, das in die Sammlung gehöre (Beispiel soziale Bewegungen).

Anm. d. Red.: Weiter zu Teil 2 Der Weg der Recherche

Further Links and Endnotes

_


Vorlage:ContentPageEnd